Aus Nikolai Wassiljewitsch Gogols „Die Mainacht oder Die Ertrunkene“
Die Russalka, eine nahe Verwandte der europäischen Meerjungfrau, verkörpert innerhalb der russischen Tradition eine mystische, jenseitige Dämmerwelt. Im Bewusstsein des Volkes hat das Geheimnis, das sie umgibt, zugleich etwas Anziehendes wie Abschreckendes.
Sehr viele Legenden und Glaubensvorstellungen spinnen sich um die Russalka, und sie können sich je nach Gegend bedeutend von einander unterscheiden. Mancherorts wird die Russalka als Waldwesen gedacht, die in den Bäumen lebt, anderswo ist sie eine Flussbewohnerin, manchmal tanzt sie auf Feldern und bringt so Fruchtbarkeit und üppige Ernte, und dann wieder dringt sie unbemerkt in Häuser ein und stiehlt ungetaufte Säuglinge. Meistens sind es junge Frauen, die ertrunken oder einem Gewalttod zum Opfer gefallen sind, die man in jener Dämmerwelt vermutet, deswegen schwingt in vielen Russalka-Legenden ein Gefühl von Mitleid mit. Ähnlich den griechischen Sirenen sagt man der Russalka auch nach, Männer zu verführen und Frauen anzugreifen.
Das Wesen der Russalka ist so irrational, dass sie nicht selten gegensätzliche Charakterzüge zu vereinen scheint. So ist zum Beispiel ihre Unfähigkeit, Kinder zu gebären, ein Zeichen der leblosen, unnatürlichen Schönheit einer solchen jungen Frau. Neben solchen Vorstellungen existieren wiederum Geschichten darüber, wie diese Wesen Kinder retten, indem sie wilde Tiere von ihnen weg locken und Wasserströme zum Versiegen bringen.
Die Russalka wird immer mit offenem Haar dargestellt. Diese typische Erscheinung unterscheidet sie grundsätzlich von gewöhnlichen Frauen, die sich niemals mit einer solchen Frisur in der Öffentlichkeit zeigen würden. Damit einher geht die weit verbreitete Vorstellung von der schönen Russalka, die nachts an die Ufer der Flüsse und Seen kommt und ihr langes Haar kämmt. Zu ihren Lieblingsbeschäftigungen gehört es, in Bäumen zu schaukeln (wie im berühmten Gedicht „Lukomorje“ von Puschkin) und Kränze aus Blumen, Waldhaar und Baumzweigen zu flechten.
Solch eine romantische Figur konnten die russischen Schriftsteller, Lyriker und Maler nur schwer unbeachtet lassen. In ihren Werken erscheint die Russalka als geheimnisvolles, trauriges und wunderschönes Mädchen, so nah und doch so ungreifbar.
Die Farbgestaltung dieser Komposition erscheint auf den ersten Blick als leicht übertrieben kontrastiert. Vor dem Hintergrund des grünen Rasens (Nephrit) und des bräunlich-orangefarbenen Hügels (Karneol) wirkt die Russalka wie ein leichenblasses Geistwesen — der Körper der jungen Frau ist aus milchig-weißem Chrysopras geschnitten. Aber dem aufmerksamen Betrachter eröffnet sich die bemerkenswerte Wahl des Materials: Im schneeweißen Stein schimmern grünliche Farbverläufe und braune Tupfer. Durch das gekonnte Spiel mit den leuchtenden Farben und ihren Reflexionen hat der Künstler eine feine, nuancenreiche Harmonie erschaffen, ohne dabei die Frische der Farbkraft einzubüßen.
[...] Und da kam es ihm vor, als ginge eines der Fenster auf. Mit angehaltenem Atem, ohne mit einem Muskel zu zucken und ohne den Blick vom Teiche zu wenden, glaubte er in die Tiefe des Wassers versetzt zu sein und seltsame Dinge zu sehen: zuerst erscheint im Fenster ein weißer Ellenbogen, dann stützt sich ein liebliches Köpfchen mit glänzenden Augen, die durch die dunkelblonden Haarfluten hindurch leuchten, auf diesen Ellenbogen; und er sieht, wie das Köpfchen leise nickt und lächelt ... Sein Herz fing plötzlich zu klopfen an ... Das Wasser kräuselte sich, und das Fenster wurde wieder geschlossen. Still ging er vom Teiche fort und sah das Haus an: die düsteren Fensterläden standen offen, die Scheiben glänzten im Mondlichte.
[...] Das Fenster ging leise auf, und dasselbe Köpfchen, dessen Spiegelbild er im Teiche gesehen hatte, blickte heraus und lauschte andächtig dem Gesang. Die langen Wimpern beschatteten die Augen. Das Gesicht war ganz bleich wie Leinwand, wie Mondschein; doch wie herrlich, wie wunderschön! Sie lachte auf ... Lewko fuhr zusammen. „Sing mir irgendein Lied, junger Kosak!“ sagte sie leise, den Kopf auf die Seite neigend und die dichten Wimpern herablassend.
Am Fluss gab es eine abgeschiedene Stelle. Gruselig war’s dort, und es spukte. Seltsame Dinge erschienen den Menschen. Das erzählte Mischa Krjukow, der oben auf dem Hügel wohnte:
„Eines Nachts sind wir zur Mühle hinausgefahren. Als wir am Flüsschen ankommen, sitzt dort eine Frau, nackt. Eine Russalka, sagt man. Die Haare offen, schlägt sie aufs Wasser und schreit: ‘Leuchte, leuchte, du Mond! Kurz und klein schlagen will ich dich sonst!’ Die Haare stellen sich uns auf. Wie sollen wir bloß den Fluss überqueren?“
Russalka
Kunstwerkstatt „Swjatogor“
2013
Idee: Grigori Ponomarjow
Meister: Grigori Ponomarjow
Schliff: Alexei Atemasow, Sergei Zygankow
Juwelier: Wiktor Sobolew
Material: Achat, Chrysopras, Karneol, Nephrit, Feuerstein, Quarz, Rauchquarz, Moosachat, Silber, Bronze, vergoldet, versilbert, palladiert, geschwärzt
Maße: 36 × 37 × 35 cm