Aus dem Frühlingsmärchen „Snegurotschka“ von A. N. Ostrowski
Innerhalb des heidnisch-slawischen Götterpantheons verkörperte die Kupawa alles Lebendige, Frische, Reale und Helle, denn sie war die Göttin des Sommers, der in den nördlichen Breitengraden stets sehnlichst erwartet wurde. In der Vorstellung der Menschen erschien sie als junge Frau von einer Wärme ausstrahlenden Schönheit, offenherzig und freigiebig, genau wie die warme Jahreszeit. Laut einer alten Legende bewies Kupawa ihr großes Wesen, indem sie etwas sehr Besonderes für die Menschen tat, etwas, das sonst niemand gewagt hatte: Als der erste Mensch erschaffen wurde, war sie es, die ihre Unsterblichkeit aufgab und die Ehefrau eines sterblichen Mannes wurde, ohne jedoch dabei ihre außergewöhnliche Weiblichkeit und Wärme zu verlieren.
Kupawa ist die Verkörperung der Weiblichkeit schlechthin, und die Volkslieder und Bilder, die sich um sie ranken, zeigen sie stets in Gestalt einer wunderschönen, lebendigen und reinen jungen Frau. Es verwundert nicht, dass der russische Dramaturg Alexander Ostrowski genau diese Figur wählte, um dem Streben nach reiner, bedingungsloser Liebe Form zu verleihen. Die Kupawa der im Volk überlieferten Legende ist heute weniger bekannt als die Heldin des von Ostrowski verfassten Märchens „Snegurotschka“, das hierzulande auch als „Schneeflöckchen“ bekannt geworden ist. Weitreichende Berühmtheit erlangten das Werk und seine Figuren durch die gleichnamige Oper von N. A. Rimski-Korsakow, die in der ganzen Welt aufgeführt wurde.
Zu Beginn des Märchens erscheint Kupawa als die Braut des reichen Kaufmanns Misgir, mit dem sie eine Zweckehe eingehen will. Dann begegnet sie Snegurotschka — einem wunderschönen, aber kühlen Wintermädchen — und nähert sich ihr an, teilt alle ihre Geheimnisse und ihren Kummer mit ihr. Bald durchlebt Kupawa jedoch ein persönliches Drama: Ihr Bräutigam verliebt sich in ihre Freundin. Nur so erfährt sie zugleich aber die wahre Liebe, und zwar mit dem Hirten Lehl, der von Snegurotschka zurückgewiesen worden war.
Kupawa ist geschaffen für die Liebe. Ostrowski hat diese Figur den alten Überlieferungen entnommen und ihr neues Leben eingehaucht, indem er die Lebendigkeit ihres Charakters durch ihre Entwicklung betonte. In der Steinskulptur wird der schillernden Gestalt durch die Kontrastierung des leuchtend grünen gemaserten Malachits im Sockel und des bunt gescheckten roten Gesteins im Kleid der Heldin Leben eingehaucht. Die heterogene Struktur des Chalcedon, die leuchtende Farbtupfer sowie helle, fast durchscheinende Partien in sich vereint, erweckt den Eindruck, als bewege sich der Stoff zusammen mit der Person. Der gelbe Jaspis, aus dem es den Meistern gelungen ist, eine im Sonnenlicht schimmernde Haarpracht zu erschaffen, hat ebenso Beachtung verdient.
Alles vergaß ich da,
Eltern, Gespielinnen,
Dachte an einen nur,
An meinen Herzensfreund.
Küßten uns, umarten uns,
Froh des Beisammenseins,
Sahen einander ins Auge
Voll Zärtlichkeit.
Väterchen, edler Zar,
Ach, nicht von Dauer
Ist menschliche Seligkeit.
Väterchen, edler Zar,
Luden zum Ringeltanz,
Alle Gespielinnen kamen,
Auch Schneeflöckchen;
Wie diese zu uns trat,
Die Glücksverderberin,
Hat er sie angestarrt.
Hat sie umkreist,
Wie ein Falke,
Der Beute sucht.
Mich, seine treue Geliebte,
Verschmähte er!
Er, der mich einst
Unter Tränen beschworen
Die Seine zu werden,
Verhöhnt und beschimpft
Seine Braut vor dem Volk!
Eine Schamlose
Nennend mich!