Aus der Byline „Die Heilung des Ilja Muromez“
Viele Jahrhunderte lang wurden in der alten Rus wundersame Geschichten von den Heldentaten außergewöhnlicher epischer Heroen überliefert, den Bogatyri. Die russischen Recken zeichnen sich durch ihre übermenschliche Kraft und ihren Patriotismus aus, ihre Heldentaten dienen stets dem Schutz des heimischen Bodens und der Wiederherstellung von Gerechtigkeit. Diese Erzählungen erfreuten sich seinerzeit einer derartigen Beliebtheit, dass sich aus ihnen ein eigenes Genre entwickelte: die Bylinen — Heldenlieder und Sagen. Und auch heute noch sind die Erzählungen von den Bogatyri jedem bekannt und verständlich, ihre Motive finden sich in Literatur und Kunst wieder.
Ilja Muromez ist einer der populärsten Volkshelden. Er verkörpert die Vorstellungen der Menschen von einem idealen Krieger und Bogatyr. Der Überlieferung nach stammte er aus dem Dorf Karatscharowa bei der Stadt Murom, was ihm den Namen Muromez bescherte. Anders als die meisten anderen Figuren in derartigen Erzählungen, war Ilja keineswegs ein geborener Held und Sieger — er war als Krüppel geboren worden und die ersten drei Jahrzehnte seines Lebens nicht in der Lage, seine Arme und Beine zu benutzen.
Als er gerade dreißig Jahre alt geworden war, zogen Pilgermusiker auf ihrer Wanderschaft durch sein Dorf. Die Legende berichtet von einer wunderbaren Heilung des Ilja Muromez: Die Pilger baten um Wasser, aber außer Ilja war niemand in der Nähe. Er nahm all seine Kraft zusammen und erhob sich, und als auch er von dem Wasser getrunken hatte, wurde ihm übermenschliche Kraft zuteil. Sogleich legte er vor den Pilgern das heilige Versprechen ab, seine Stärke für den Schutz der Heimat vor den Feinden einzusetzen. Sie segneten ihn, und er ging fort, um dem Fürsten Wladimir zu dienen. Auf seinem Weg fand er unter einem Stein, den sonst niemand heben konnte, eine Waffe, Rüstung und ein Ross. Zu den bekanntesten Legenden, die sich um Ilja Muromez ranken, zählen unter anderem die Begegnung mit Swjatogor, seine Siege über den Räuber Nachtigall und über Idolischtsche, den Götzenmann, sowie die drei Reisen des Ilja. Von zentraler Bedeutung ist dabei, dass der Held nicht im Sinne eines Vasallendienstes seinem Fürsten gegenüber handelt, sondern vielmehr seiner Heimat und dem Volk nützlich sein will und deswegen immer aus eigenem Antrieb handelt.
Jede Byline endet unausweichlich mit dem Triumph der rechtschaffenen Macht über die Ungerechtigkeit. Ilja Muromez besiegt seine Feinde mit Hilfe von stoischer Ruhe, Erfahrung, Kraft, Duldsamkeit und Entschlossenheit. Einer Prophezeiung zufolge wird er nicht im Kampf sterben — das macht ihn zu einem starken und furchtlosen Krieger.
Die Steinschneidemeister haben den Bogatyr in seiner ernsten und entschlossenen Gestalt festgehalten. Ihre besondere Ausstrahlungskraft gewinnt die Komposition durch die kontrastreiche Farbgestaltung: das schwarze Ross, der leuchtend rote Jaspis zusammen mit dem rötlichen Achat in der Kleidung des Bogatyr, das reine Weiß der Schneelandschaft. Der massive Aragonitblock mit der glücklich gewählten Form erinnert an frisch aufgewirbelten Schnee, der unter den Pferdehufen hervorstiebt, und verleiht der Komposition eine besondere Lebendigkeit und Dynamik
[...]
In einem Zuge leerte Ilja den großen hölzernen Krug.
Wohlgefällig schauten die beiden Männer auf ihn und fragten:
„Nun, wie fühlst du dich?“
„Ich spüre in mir eine Riesenkraft“, erwiderte Ilja. „Meine Arme sind wie Eisenhämmer, meine Beine wie stählerne Pfeiler.“
Iljas Schritte dröhnten durch das ganze Haus. Er warf den zerschlissenen Bauernrock ab, legte ein prächtiges Reckengewand an und trat vor die Tür.
[...]
Sprach Iwan da ein solches Wort:
„Nicht mehr beim alten ists in der Kaiserstadt,
Nicht mehr wie früher gehts her in der Kaiserstadt,
Überfallen hat sie ein unreiner Götzenmann,
Eingenommen die heidnische Tatarenmacht,
Die heiligen Ikonen zerschlugen sie,
Traten sie in den schwarzen Schmutz,
Machten die Kirchen zum Pferdestall.“
[...]
Da holte der unreine Götzenmann
Den Pilger alsbald zum Verhör zu sich:
„Hei, du russischer Pilgersmann!
Sag mir, Pilger, verhehle nichts:
Was habt ihr da in Rußland für einen Recken da,
Für einen alten Kosaken Ilja Muromez?
Ist er hoch von Wuchs, wieviel Brot ist er,
Ja, und trinkt er denn auch viel grünen Wein?“
[...]
So schritt er durch die Heiden und schlug auf sie ein
Mit dem unreinen Götzenmann.
In drei Stunden schlug er sie alle tot,
Ließ keinen Unreinen zum Samen zurück.
Ilja Muromez
Steinschneidewerkstatt „Swjatogor“
2012
Idee: Iwan Golubew
Meister: Stanislaw Schirjaew
Schliff: Albert Klewakin
Juwelier: Dmitri Babuschkin
Schmied: Jewgeni Belan
Material: Dolerit, belarussischer Feuerstein, Achat, Aragonit, Jaspis, Chalcedon, Holzstein, Silber, Stahl
Maße: 73 × 85 × 55 cm